Am Thema Glühwein kommt in der Vorweihnachtszeit kaum jemand vorbei: Auf dem Weihnachtsmarkt, in den Supermärkten, in der Gastronomie und selbst an der Tankstelle – Glühwein ist überall zu haben.
Würde das nicht schon reichen, ploppt das Thema auch in unzähligen Publikationen und Radio- und Fernsehberichten auf. Ob in Lifestylemagazinen, Ratgebern, Testzeitschriften oder auf den Seiten der Verbraucherzentralen ist es ein beliebtes Thema, das sich gut mit stimmungsvoller Weihnachtsdeko bebildern lässt. Die gute alte Zeit mit romantischen Fachwerkhäusern, gütigen Opas und engelsgleiche Jungfrauen kehrt zurück. Als wäre Glühwein schon immer da gewesen.
Doch Glühwein ist, so wie wir ihn heute kennen, ein junges Getränk. Mitte der 1960er Jahre tauchte Glühwein erstmals auf den Weihnachtsmärkten in Süddeutschland und Bayern auf. Die Nürnberger Schnapsbrennerei Gerstacker reklamiert für sich auf dem traditionellen Christkindlesmarkt der Stadt die Erste gewesen zu sein, die Glühwein offerierte. Vorläufer als Heißgetränk der vornehmen Gesellschaft waren die legendäre Feuerzangenbowle oder ein heißgemachter Punsch aus Fruchtsäften und Spirituosen.
Glühwein startete erst in den Wirtschaftswunderjahren seinen Siegeszug und schon bald fanden sich auch Produzenten, die Glühwein als Fertiggetränk in Flaschen füllten und in den Handel brachten. Die größer werdenden Lebensmittelmärkte gierten nach Produkten, um die verkaufsstarke Weihnachtszeit mit günstigen Stimmungsmachern anzuheizen. Meist waren es Fruchtsafthersteller oder Schnapsbrenner, die sich dem Thema widmeten. In der Saison, die von Mitte Oktober bis exakt zu Silvester reicht, sind es Schätzungen zufolge 60 bis 80 Millionen Liter Glühwein, die in Deutschland konsumiert werden. Nach Neujahr bricht der Absatz jäh ein. Was bis dahin nicht verkauft ist, erweist sich als Ladenhüter, wie erfahrene Kaufleute wissen.
Als größter Produzent mit über 20 Millionen Flaschen Glühwein gilt die Nürnberger Firma Gerstacker, die sich lange mit Konkurrenten und Importkellereien Streitigkeiten um die Namensrechte am Glühwein lieferte. Gerstackers bekanntester Glühwein heißt heute „Nürnberger Christkindles Markt-Glühwein mit dem Zusatz g.g.A“, der zwar aus unterschiedlichen Herkünften hergestellt werden darf, aber wie der „Thüringer“ Glühwein, als Wein mit geschützter geografische Angabe gilt.
Aus dem gleichen Hause gibt es noch eine Menge anderer Heißgetränke, darunter Kirsch- und Heidelbeer-Glühwein oder Glühwein mit Met als eine der weiteren Varianten. Auch alkoholfreier Glühwein und Bio-Glühweine gehören zum Sortiment neben Bowlen, Cidre, Federweißer, Sangria und vielen weiteren Mischgetränken. Die Produkte gibt es außer unter der Marke Gerstacker auch unter anderen Namen, die dann mehr oder weniger als Eigenmarken verschiedener Handelsketten laufen.
Zu den großen Produzenten gehören seit Jahren auch einige Weinkellereien wie Peter Mertes aus Bernkastel-Kues mit seinem Rotwild Glühwein oder die Weinkellerei Hechtsheim in Mainz, die heute zum Imperium der französischen Kellerei- und Weingutsgruppe von Grands Chais de France gehört.
Die Weinkellerei Hechtsheim offeriert einen Nürnberger Rauschgold Engel Glühwein vom Nürnberger Christkindlesmarkt ebenfalls mit dem Zusatz g.g.A., der auf den ersten Blick dem Gerstacker-Glühwein recht ähnlich sieht. Der Markt ist heiß umkämpft und die Produzenten wissen um die Bedeutung von weihnachtlichen Symbolen und Dekorationen. Den Deutschen wird’s warm ums Herz in der Weihnachtszeit und so zitiert die Weinkellerei Hechtsheim auf ihrer Homepage auch die Geschichte vom „geschickten Nürnberger Handwerksmeister, der vor vielen hundert Jahren das erste Exemplar des Rauschgoldengels geschaffen habe – als Ebenbild seiner geliebten Tochter. Nachts sei ihm sein Kind als Engel im Traum erschienen, in einem Gewand aus Gold, Samt und Seide. Tags darauf hielt der Vater diese lebendige Erinnerung fest: Der Rauschgoldengel war geboren“.
Das Nürnberger Chirstkindl in Gestalt hübscher blonder Frauen begeistert bis heute die Besucher des gleichnamigen Weihnachtsmarktes, der vielen als Vorbild der inzwischen rund 4.000 Weihnachtsmärkten gilt, die alljährlich in Deutschland öffnen. Weihnachtsmärkte sind ein echter deutscher Exportschlager und bereichern wie die weltweit zelebrierten Oktoberfeste inzwischen die Kultur in anderen Ländern.
Der Nürnberger Christkindles Markt-Glühwein von Gerstacker wird wie Glühwein der Weinkellerei Hechtsheim mit natürlichen Aromen respektive Auszügen davon hergestellt. Natürliche Aromen können durch physikalische, enzymatische und mikrobiologische Verfahren aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen werden.
Die Aromen-Verordnung der EU stellt die rechtlichen Anforderungen und so müssen natürliche Aromen in der Natur vorkommen, d.h. aber nicht, dass die in der Lebensmittelindustrie verwendeten Aromen allein aus den genannten Früchten oder Gewürzen stammen. Über 10.000 Aromen sind den Lebensmittelchemikern heute bekannt und vermutlich mehr als 2.500 Aromen werden in der Lebensmittelindustrie verwendet.
Rechtlich gesehen ist Glühwein kein triviales Produkt, auch wenn so gut wie jeder Konsument wissen dürfte, was man für einen selbst gebrauten Glühwein benötigt: einen ordentlichen Wein, Zucker, Zimt und Gewürznelke sowie Orangen- und Zitronenscheiben. Mit Vanilleschoten und einer Menge anderer Gewürze wie Sternanis, Muskat, oder Kardamom kann man den Glühwein weiter aromatisieren. So beruft sich die Weinkellerei Gerstacker darauf, rund 25 Gewürze für ihren Glühwein nach geheimer, alt-überlieferter Tradition zu verwenden.
Glühwein selbst gemacht, Bildrechte Michael Kugel
Im Weinrecht ist Glühwein als „aromatisiertes weinhaltiges Getränk“ definiert, das mindestens 7 und weniger als 14,5 Volumenprozent vorhandenen Alkohol enthält. Meist liegt der Alkoholgehalt bei den Fertigprodukten bei 10 bis 11 Volumenprozent Alkohol. Glühwein ist rot, wird Weißwein verwendet muss die Bezeichnung „Glühwein aus Weißwein“ verwendet werden.
Alkohol- und Wasserzusatz sind verboten. Dafür darf Glühwein ordentlich mit Traubenmost und/oder Saccharose oder anderen natürliche Zuckerstoffen gesüßt werden. Sorbinsäure und schweflige Säure bis zu 200 mg/l dürfen als Konservierungsstoffe hinzugesetzt werden, was in der Etikettierung genannt werden muss, ebenso wie die Zutaten- und Nährwertangaben. Die sind seit 8. Dezember 2023 verpflichtend und können meist über einen QR-Code auf dem Etikett abgerufen werden. Die Zuckergehalte sind mit üblichen Werten von 80 bis 100 Gramm Zucker pro Liter nicht ohne und machen Glühwein zu wahren Kalorienbomben. Wer will darf den Geschmack auf dem Etikett angeben. Das reicht von „extra trocken“ mit weniger als 30 Gramm pro Liter Zucker bis zu „süß“ mit dann über 130 g/l.
Neben den großen Herstellern möchten natürlich auch viele Weingüter und Winzerbetriebe sich ein Stück vom heißen Glühweinmarkt abschneiden. Wird der Wein aus eigenen Erzeugnissen im „kennzeichnenden Betrieb“ hergestellt, darf das Produkt als „Winzerglühwein“ offeriert werden. Da die verwendeten Aromen beim Glühwein sich leicht in den Füllanlagen, Geräten und Schläuchen der Winzer und Weingüter festsetzen könnten, scheuen die meisten Betriebe die Abfüllung im eigenen Keller und beauftragen mit der Flaschenfüllung Kellereien oder Lohnabfüller. Die Gefahr, dass Glühweinaromen selbst in Spuren nachgewiesen werden können und die damit kontaminierten Weine verkehrsunfähig machen, lassen viele Winzer Abstand nehmen, selbst Glühwein abzufüllen.
Kommentar
Die Kritik an der massiven Aromatisierung vieler Lebensmittel ist groß. Viele Produkte wären ohne synthetische, dazu zählen sowohl künstliche wie naturidentische Aromen, nicht denkbar. Die einschlägige Industrie bietet eine Vielzahl an Aromen und Geschmacksverstärkern in Form natürlicher und synthetischer Produkte an. Man muss nur an die vielen Vanille-, Himbeer- und Erdbeer-Jogurts denken, für die weder die Früchte noch die Aromen der teuren Vanilleschote verwendet werden, aber intensiv das jeweilige Aroma verströmen. Künstliche und synthetische Vanillearomen sind vermutlich die am weitesten verbreiteten Aromen.
Von Jugend an werden die Menschen heute an die massive Aromatisierung gewöhnt, seien es Nahrungs- und Genussmittel, Produkte für die Körperpflege, Arzneimittel oder auch Textilien und alltägliche Gebrauchsartikel. Die Wirkung vieler Aromen auf den menschlichen Organismus ist in vielen Fällen unbekannt und nicht erforscht und die Kennzeichnung der Produkte bis heute ein Buch mit sieben Siegeln. Die Kritik, dass wir uns nur allzu leicht mit einer Vielzahl chemischer Stoffe und Verbindungen umgeben und diese auch in unseren Körper aufnehmen, von denen wir nicht wissen, welche Wirkung sie haben, ist nicht von der Hand zu weisen.
Hermann Pilz
Das Sortiment an winterlichen Heißgetränken ist groß. Die gängigen Markenglühweine kosten im Handel meist weniger als 3 Euro. Glühweine aus Weingütern kosten gerne mal das Doppelte.
Bildrechte Michael Kugel